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Violanta, Wolfgang Krebs, Rhombos-Verlag Berlin, Deutschland, ISBN 978-3-944101-38-5, erschienen 9-2014
Über das Buch
Die Idee des Dionysischen ist eine der einflussreichsten Konstanten in der neueren abendländischen Geistesgeschichte. Nietzsche verlieh ihr für die Philosophie beredten Ausdruck, zahlreiche Künstler ließen sich durch sie inspirieren.
Erich Wolfgang Korngold gehört zu den Komponisten des Fin de siècle, die ›das Dionysische‹ im Rahmen der Gattung Oper verwirklichten: »Violanta«, vordergründig ein Drama um Mord und Eifersucht, ist in Wahrheit ein tiefgründiges Werk mit psychoanalytischen und lebensphilosophischen Tendenzen. Seine Kernaussage umschreibt einen Mythos der Entgrenzung, des Ausbruchs aus reglementiertem Dasein. Damit ist Korngolds ›Oper in einem Akt‹ für die Epoche der ›Postmoderne‹ aktuell.
VorbemerkungEine Monographie wissenschaftlichen Anspruchs mit der Ausbreitung persönlich erlebter Begebenheiten einzuleiten, mag unüblich sein. Doch trägt dieses Vorgehen dazu bei, die Atmosphäre zu erhellen, in die das Denken über Erich Wolfgang Korngolds Werke und das Empfinden seiner Aktualität heute eingebunden sind.
Vor einigen Jahren lud mich eine deutsche Musikhochschule zu einem Vortrag ein. Sie ließ weitgehende Freiheiten in der Themenwahl, legte mir jedoch in einer einschränkenden Vorgabe nahe, ich sollte das Werk oder Umfeld eines Künstlers des 20. Jahrhunderts referieren. Daraufhin spielte ich mit dem Gedanken, über Korngolds Operneinakter Violanta zu sprechen. Mir erschien diese Wahl sinnvoll. Denn zum Einen bot sie den unbestreitbaren Vorteil eines Themas, über das sich noch nicht die üblichen bedruckten Papiergebirge an wissenschaftlicher Sekundärliteratur türmten. Zum Anderen verspürte ich einen inneren Bezug zu Korngold und zu seinen Werken, der Lebendigkeit und Inspiration anstelle von trockener Analysearbeit versprach. Allein, es erwies sich – sogar rechtzeitig –, dass ich an den wirklichen Verhältnissen, Empfindlichkeiten und Erwartungshaltungen vorbeikalkuliert hatte. Dankenswerter Weise verfügte ich über wohlmeinende Kreise, diese rieten mir von meinem Vorhaben ab. Sie wiesen mich darauf hin, welche Provokation es bedeuten würde, sollte ich einen Komponisten wie Korngold und sein Werk durch die Widmung eines Vortrages ›aufwerten‹: ausgerechnet vor einem Publikum, welches sich von Wenigem überzeugter zeigte als von der Bedeutungslosigkeit einer solchen Musik! Wollte ich tatsächlich das Risiko eingehen, selbst komponierende Fachleute der modernsten Richtung mit derartigen historischen ›Uninteressantheiten‹ zu behelligen? Es würde wohl schweren Anstoß erregen! Soweit die warnenden Einwände der Wohlgesonnenen. Zunächst verblüfften sie mich sehr. Nun also denn, was geschah? Ich ließ mich überzeugen und referierte über Karlheinz Stockhausen.
Rückblickend betrachtet waltete in der Entscheidung gegen Korngold durchaus Klugheit. Aber war sie für sich selbst vertretbar? Beugte ich mich nicht allzu sehr der herrschenden Meinung? Sie war zu jener Zeit stark von der Vorstellung durchdrungen, dass es Musik gebe, die ›an der Zeit‹ sei und folglich die Diskussion zu bestimmen habe. Lief die Nachgiebigkeit gegenüber den ›Wünschen‹ meiner potenziellen Zuhörer nicht auf eine Vergötzung der Avantgarde hinaus? Selbige war um das Jahr 2000 zwar längst durch die Zeitläufte der Musikentwicklung überholt. Allein, wer seine musikalische Sozialisation in den 1960er und 1970er Jahren erhalten hatte, pflegte die Vorstellung des Vorranges atonalen Komponierens gleichwohl noch mit unverkennbarer Überzeugung.
Diese Begebenheit bezeichnet keinen Einzelfall. Nicht selten herrschen Vorbehalte, Geringschätzung, manchmal sogar Verachtung vor, wo Kenntnisse über Korngolds Werke überhaupt vorhanden sind. Das Interesse an seiner Musik trägt zurzeit selbst bei jenen eher den Charakter des Beiläufigen, die um die einstmalige Bedeutung des Komponisten wissen. Erich Wolfgang Korngold ist nicht eigentlich ein ›vergessener‹ Künstler. Teile seines Werkes wirken bis in die Gegenwart fort. Sie finden jedoch bei weitem nicht die Zustimmung, die das Œuvre von Richard Strauss – Korngolds berühmtem und vielseitigeren Zeitgenossen – heute noch genießt.
Immerhin veranlasst die Erfahrbarkeit solcher Haltungen zu Erich Wolfgang Korngold einige Überlegungen: Vermag sein Werk Interesse zu erregen, das über die bloß individuelle Wertschätzung oder diejenige einer begrenzten ›Gemeinde‹ hinausreicht? Worin besteht die Aktualität, falls es denn eine gibt? Worin die mehr als nur zeitverhaftete Aussage, das überzeitlich Ansprechende? An wen kann sich eine Schrift über Korngolds Violanta richten, so sie zeitgenössischen Komponisten ›unzumutbar‹ wäre? An die universitäre Musikwissenschaft? Gewiss, doch lehrt die Erfahrung, dass neue Forschungsbeiträge dort nicht mehr allenthalben gründlich gelesen werden. Existieren vielleicht andere potenzielle Zielgruppen der gewonnenen Erkenntnis? Gibt es, wenn das in der Sphäre des reinen Geistes übel beleumundete Wort gestattet sei, einen ›Markt‹ für das Gedachte und Geschriebene? Das sind sämtlich Fragen für Strategen des Wissenschaftsmarketing. Sie dürfen nicht mit der Kommerzialisierung von Erkenntnis selbst verwechselt werden.
Meine Schrift stellt sich eine Zielgruppe vor, die Erkenntnisse über Kunst als Bereicherung schätzt. Dies meint die professionelle Leserschaft, aber auch andere Interessierte, die jenseits des – übrigens nicht gering zu achtenden – Willens zum Genießen die gedankliche Auseinandersetzung wünschen. Denn auch die (mitunter etwas despektierlich) ›Laien‹ genannten Interessentenkreise streben nach vertiefenden Informationen und Deutungen. Schlicht darum, weil der ästhetisch-sinnliche Genuss bedeutend gesteigert werden kann, wenn ihn eine Aufarbeitung begleitet. Die Musikwissenschaftler unter meinen Lesern mögen mein Buch dennoch nicht sogleich entsetzt zur Seite legen. Ich gedenke die Standards zu wahren. Vorliegende Schrift ist nicht populär im platten Sinne, verschmäht also die Nachgiebigkeit gegenüber der schriftlich fixierten Unterhaltsamkeit. Der Anspruch auf Geistigkeit kann sich natürlich nicht in der bloß kulinarischen Sensualität erfüllen. Meine Gedanken enthalten sich der Vereinfachung, wie sie in einer Unzahl von Opernführern an der Tagesordnung ist. Noten lesen sollte schon können, wer diese Schrift zur Hand nimmt. Auch fühlt sie sich dem Anekdotischen abgeneigt. Mein Buch setzt andererseits nicht das gesamte Arsenal an Fachwissen voraus. Das betrifft sowohl die historische und terminologische Dimension als auch die Ebene der Methoden. Es ist durchaus möglich, dass ich im Folgenden für den Geschmack eines Fachmanns manchmal etwas zu viel ›erkläre‹. Dies lässt sich nicht umgehen, will die Gedankenführung nicht einen Teil der Leserschaft im Stich lassen. Überdies gibt das Buch zu den Notenbeispielen und anderen Stellen des Bühnenwerkes, etwas unüblich, auch die Hörposition der verfügbaren Compact Disc (Janowski-Einspielung) an.
Nach meiner Kenntnis existiert bisher keine ausführliche Violanta-Monographie, die sich des Ideen-Kerns von Korngolds Bühnenwerk annähme. Selbst die wissenschaftlichen Beiträge beschränken sich oft auf die Nachzeichnung des szenischen und musikalischen Verlaufs. Manche heben einzelne Aspekte der Musik hervor. Andere stellen das Kunstwerk in den bekannten Formen des Führers durch die Orchesterpartitur dar, unter Benennung der leitmotivischen Bedeutung des Klangmaterials. Sie vermitteln jedoch kein Gesamtbild der musikalischen Dimension und ihrer dramaturgischen Relevanz, auch wenn sie Verbindungen zwischen Musik und Drama erörtern. Der Gesichtspunkt der Vermittlung dramatischen Geschehens fordert indes zur Klärung zahlreicher Fragen auf. Wie ist die Leitmotivtechnik beschaffen, die Korngold durch Richard Wagner kannte? Wie verhält es sich mit den anderen Motiven, Harmonie- und Melodie-Verlaufs-formen? Welche Funktionen kommen den geschlossenen Arien-, Duett- und Ensemblestellen zu? Auf welche Weise verwirklicht sich musikalische Form vor dem Hintergrund der Szenenfolge und Konfiguration? Schließlich, warum mochten Korngold und Hans Müller für den Violanta-Stoff die Großform des Einakters für angezeigt gehalten haben? Vorliegendes Buch versucht auf diese Fragen eine Antwort zu geben.
Meine Monographie zu Erich Wolfgang Korngolds Violanta wurzelt in langjährigen Forschungsschwerpunkten. Sie versteht sich als kleines Seitenstück zu einer früheren Publikation über Salome von Richard Strauss. Wurzelhaft geht sie auf einen Vortrag im Rahmen meiner Promotion (1993) zurück, den ich später in Aufsatzform publizierte. Die monographische Langfassung findet nun mit einer Verspätung von zwanzig Jahren den Weg in die Öffentlichkeit. Das hat nichts mit meiner Bewertung des Komponisten und seines Werkes, sondern ausschließlich mit einer gewissen Entfremdung von der universitären Musikwissenschaft zu tun. Dennoch dürften auch über diese lange Zeitspanne hinweg manche Parallelen der Analysen und Interpretationen unschwer zu erkennen sein. Die Anknüpfung betrifft vor allem den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Libretti und, in dessen Folge, der Musik. Es darf wohl gesagt werden: Dieser Ideenkomplex verwirklicht die Idee des Dionysischen in der musikdramatischen Kunst des Fin de siècle.
Unter dem Dach des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Frankfurt-Main fand sich seit 1985 die Projektgruppe ›Geschichte des Operneinakters‹ zusammen. Die wissenschaftliche Runde setzte sich von Beginn an die philologische Erarbeitung des Forschungsgegenstandes zum Ziel – konkret: den möglichst vollständigen Nachweis aller einaktigen Bühnenwerke zwischen 1880 und 1980. Sie versuchte auch, naturgemäß vorläufig, spezifisch dem Operneinakter angehörige Beziehungen zwischen Drama und Musik zu erkunden und geeignete analytische Methoden zu entwickeln. Der Leiter der Gruppe, Prof. Dr. Winfried Kirsch, hat meine Interessen und Forschungen engagiert und selbstlos gefördert. Darum sei ihm das Ergebnis meiner Untersuchungen zu Korngolds Violanta in Dankbarkeit zugeeignet.
Aufrichtigen Dank schulde ich auch meinen Frankfurter Studienkameraden und Kollegen, die durch ihre Anteilnahme diese Studie kritisch begleitet haben. Zu Dank verpflichtet fühle ich mich ferner dem Verlag B. Schott’s Söhne, Mainz. Er hat mir in zuvorkommender Weise das Partitur-Material der Korngold-Oper zur Verfügung gestellt und damit vorliegende Studie erst ermöglicht.
Seit dem Tod des Komponisten sind über fünf Jahrzehnte vergangen. Dennoch oder gerade darum betrachte ich dieses kleine Buch auch als eine Reverenz an Erich Wolfgang Korngold.