Dr. sc. Lutz Haucke (Jg. 1940) war tätig als Oberassistent und Dozent in der Hochschullehre an der Humboldt-Universität Berlin (Theaterwissenschaftliches Seminar, 1978-1998), an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg (1971-1975) und als Honorardozent an der Theaterhochschule Leipzig in den 80er Jahren. Er wirkte mit an mehreren Forschungsprojekten so zur Geschichte der DEFA, zu Phänomenen der Massenkultur, zur Theorie und Geschichte der darstellenden Künste. Als erster Universitätsdozent für Filmwissenschaft in der DDR schuf er Grundlagen für ein filmwissenschaftliches Grundstudium mit den Schwerpunkten „Internationale Filmgeschichte“, „Dramaturgie der AV-Medien“ und „Filmanalyse“ im Studiengang Theaterwissenschaft. Zahlreiche Publikationen in Zeitschriften und Sammelbänden.Filmwissenschaft wird in diesem Sammelband als Baustein der Medienwissenschaft verstanden. Mit diesem Wissenschaftsverständnis trifft der Autor auf die in den letzten Jahren an den Universitäten in der BRD vollzogene Erweiterung der Institute für Filmwissenschaft zu Instituten für Medienwissenschaft. Filmgeschichtliche Schwerpunkte sind die Stummfilmgeschichte und die Tonfilmumstellung 1929 sowie die Neuen Wellen in Osteuropa (1959 -1972) und die DEFA-Geschichte der achtziger und frühen neunziger Jahre. Den Wechselbeziehungen – getragen von Intermedialitätskonzepten – zwischen Spielfilm, Schauspiel, Literatur, Bildender Kunst einerseits und von Film und Fernsehen andererseits wird in Studien nachgegangen. Der Autor verfolgt ein breites Spektrum der historiographischen Film- und Fernsehanalyse. Er ist besonders verpflichtet der ideologiekritischen Methode S. Kracauers und dem Konzept M. Ferros von Film und Fernsehen als Mittel der „Gegenanalyse“ in der Geschichte. In Anlehnung an die theaterwissenschaftliche Denkfigur der Maskerade versucht der Autor, ein Maskeradentheorem im ideologiekritischen Sinne für die Analyse der Moderne und Postmoderne, für das Star-Problem und für TV-Shows anzuwenden. Da Konferenzbeiträge und Studien seit 1978 in diesem Sammelband vereinigt sind, bietet er auch Zugänge zur Diskursgeschichte der Film- und Medienwissenschaft in Deutschland. Überdies sind für die DDR-Forschung interessante Querverbindungen in einigen Studien zu entdecken.
Vorwort
Aus Anlass meines 65. Geburtstages habe ich film- und fernsehwissenschaftliche Aufsätze, auch einige Rezensionen, zusammengestellt, die von mir zwischen 1978 und 2004 geschrieben wurden. Das Jahr 1978 ist in meiner wissenschaftlichen Biografie ein Schnittpunkt gewesen. Ich war nach mehrjähriger Tätigkeit an der Humboldt-Universität auf dem Gebiet der Kulturtheorie der Massenmedien (Sektion Ästhetik und Kunstwissenschaften, Arbeitsgruppe Kulturtheorie, Leitung Dr. Dietrich Mühlberg) und an der Hochschule für Film und Fernsehen (Lehrstuhl für Film- und Fernsehwissenschaft, Leitung Prof. Dr. Käte Rülicke-Weiler) als Redakteur für Ästhetik und Kulturtheorie an der Zeitschrift „Weimarer Beiträge“ des Aufbau Verlages Berlin tätig. Prof. Dr. Ernst Schumacher, Leiter des Lehrstuhls Theorie der darstellenden Künste (Theater, Film, Hörfunk, Fernsehen) am Institut für Theaterwissenschaft der Humboldt-Universität von 1969 - 1986, bot mir 1977 an, an seinem Lehrstuhl das Arbeitsgebiet Filmkunst zu übernehmen. Da ich an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg als Oberassistent und zuletzt als Leiter der Fachrichtung Film- und Fernsehwissenschaft (1971-1975) in der filmwissenschaftlichen Lehre und Forschung Erfahrungen gesammelt hatte, nahm ich das Angebot an. Von Beginn an war meine Tätigkeit am Institut für Theaterwissenschaft von einem Kompromiss bestimmt. Einerseits hatte ich dem Lehrstuhl gegenüber Aufgaben für das Lehr- und Forschungsgebiet Theorie der darstellenden Künste/ Film zu erfüllen. Andererseits war ich bestrebt, die Filmwissenschaft in der damaligen Sektion Ästhetik und Kunstwissenschaften der Humboldt Universität Berlin zu etablieren. Ich war bemüht, in der Forschung das Gespräch mit Regisseuren des DEFA-Spielfilm- und des DEFA-Dokumentarfilmstudios zu suchen./1/ Mitte der achtziger Jahre wurde in der Sektion Ästhetik und Kunstwissenschaften darüber diskutiert, ob Themen wie „Künste und Medien“ und „Massenkultur“ in der weiteren Profilierung verfolgt werden sollten. Vorstöße zur Schaffung einer filmwissenschaftlichen Grundausbildung für interessierte Studenten verschiedener Fachrichtungen fanden außerhalb des Instituts für Theaterwissenschaft im Rahmen dieser Diskussion Unterstützung. Die Mitarbeit im Arbeitskreis „Massenkultur“ der Sektion Ästhetik und Kunstwissenschaft (Leitung Prof. Dr. Günter Mayer, Institut für Ästhetik) in den Jahren 1986/87 veranlasste mich, die Filmwissenschaft immer mehr als Baustein einer Medienwissenschaft zu verstehen.
Der Kompromiss am Institut für Theaterwissenschaft gipfelte in der Berufung zum Hochschuldozenten für die Gebiete Filmwissenschaft/ Darstellende Kunst im Kinofilm im Jahre 1985. Es war die erste Berufung für das Fachgebiet Filmwissenschaft an einer Universität in der DDR. Als Hochschuldozent konnte ich in eigener Verantwortung arbeiten und verfolgte folgende Schwerpunkte in der Lehr- und Publikationstätigkeit:
(1) Wechselwirkungen zwischen Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilm und den Künsten (Theater, Drama, Schauspieler; Bildende Kunst und Bildmedien; Literaturverfilmungen; Intermedialitätskonzepte)
(2) Werkanalyse und –interpretation (als Grundlage für Dramaturgie und Filmhistoriographie sowie für Regieporträts)
(3) Internationale und Deutsche Filmgeschichte
(4) Der Wandel der Filmwissenschaft von einer Kunstwissenschaft zu einem Baustein der Medienwissenschaft.
Die Richtigkeit dieses Weges wurde durch den fachlichen Erfolg des von mir organisierten interdisziplinären Kolloquiums „Filmkunst und Neue Medien. Probleme des Funktions- und Strukturwandels darstellender Künste in den 80er Jahren“ (26./27.5.88) belegt./2/
Auch nach der Wiedervereinigung von 1990 und im Rahmen der Neugestaltung des Instituts für Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität in den frühen 90er Jahren wurde diese Konzeption in der Hochschullehre, auf wissenschaftlichen Konferenzen und in der Publikationstätigkeit angenommen. (Viele der hier abgedruckten Studien waren Konferenzbeiträge nach 1990.) Ich bin zu Dank den Fachkollegen und –kolleginnen der Gesellschaft für Film- und Fernsehwissenschaft in der BRD (heute Gesellschaft für Medienwissenschaft) verpflichtet. Sie haben durch Kollegialität und Objektivität die auch mich existentiell betroffen machende Umgestaltung des Hochschulwesens der DDR – immerhin wurde ich im Rahmen eines nun nur noch befristeten Arbeitsvertrages (1993-1997) zurückgestuft vom Hochschullehrer zum Oberassistenten – in einen in Bezug auf das Fachgebiet Mut machenden Zukunftsrahmen gestellt. Wichtige sozialpolitische Impulse erhielt ich von der Hans-Böckler-Stiftung des DGB, für die ich bis Mitte der 90er Jahre Stipendiaten betreute.
In den ausgewählten Studien aus den 80er Jahren mag den „modernen“ Leser das hier und da anzutreffende ideologische DDR-Vokabular – insbesondere bei kulturpolitischen Schlussfolgerungen – befremdlich erscheinen. Andererseits war es in der DDR notwendig, filmwissenschaftliche Arbeit und kulturpolitische Praxis zu verbinden. In den Fragen der Medienkulturen wurden seit 1988 im wissenschaftlichen Diskurs Reformen angedacht. Die Filmklubbewegung war für mich ein wichtiger Bezugspunkt und ich verdanke ihr interessante Aufgaben/3/ – so konnte ich z.B. zu den Initiatoren der ersten Siegfried-Kracauer-Tagung in der DDR, die im Rahmen der Filmklubs des Kulturbundes veranstaltet wurde (6.12.1986), gehören.
Aufsätze und Rezensionen geben oftmals in die je aktuelle wissenschaftsgeschichtliche Diskurssituation durch den Bezug zu zeitgenössischen Auffassungen in der DDR-Filmwissenschaft und in den Kunstwissenschaften Einblicke. Insofern sind die Studien der 70er und 80er Jahre auch ein Zugang zur Wissenschaftsgeschichte der DDR-Kunstwissenschaften.
Ich verweise den Leser außerdem auf Urteile, die Dorothea Becker in ihrer ausführlichen Analyse meiner Publikationen in ihrer Dissertation „Zwischen Ideologie und Autonomie. Die DDR-Forschung über die deutsche Filmgeschichte“ (1999) getroffen hat. Am Beispiel meiner methodologischen Position zur Film- und Mediengeschichtsschreibung in den 80er Jahren schreibt sie, dass deutlich wird,
„dass Haucke kaum mehr aus einer marxistisch-leninistischen Perspektive heraus argumentiert. Damit wird eine ideologische Entwicklung Hauckes sichtbar, von seinen ersten Programmatiken der beginnenden siebziger Jahre, in denen er die Filmwissenschaft noch als streng marxistisch-leninistische Kunstwissenschaft definierte, hin zu einer teilweisen Übernahme westlicher Denkansätze, die in den Jahrzehnten zuvor nicht möglich gewesen wäre. Programmatisch enthält Hauckes Definition die Abkehr von der bisherigen werkzentrierten Filmgeschichte und von einem fachzentrierten Ansatz hin zur interdisziplinären Forschung.“/4/
Dazu ist eine Anmerkung notwendig. Ich verließ den ideologischen Dogmatismus meiner Assistentenjahre in dem Maße in den 70er Jahren, in dem ich Zugang zu den historisch und werkanalytisch orientierten Diskursen in den DDR-Kunstwissenschaften fand – was insbesondere eine Folge meiner Tätigkeit als Redakteur der Zeitschrift Weimarer Beiträge war (1975-1977). Die Diskurse waren in den 80er Jahren zunehmend weltoffener verglichen mit der Wissenschaftssituation in den 60er Jahren in der DDR, so dass es mir möglich war, konstruktiv an die Methodologie von BRD-Film- und Medienhistorikern anzuknüpfen (Dr. Werner Faulstich, damals Tübingen; Prof. Helmut Korte, damals Braunschweig; Dr. Klaus Kreimeier, damals Köln).
Im Jahre 1996 begann ich, ein Forschungsprojekt über die „Neuen Wellen“ in Ost- und Westeuropa in den 60er Jahren zu konzipieren./5/ Ich plante, es ab 1997 als DFG-Projekt anzugehen, aber der von mir gewählte Mentor Prof. Dr. Thomas Elsaesser (Amsterdam) musste absagen infolge anderer Forschungsschwerpunkte und organisatorischer Schwierigkeiten. Einige Studien zu diesem Forschungsprojekt sind in diesem Sammelband abgedruckt. Ein unvollendetes Manuskript über die „Neuen Wellen“ in Osteuropa in den 60er Jahren wartet noch auf die Überarbeitung und Fertigstellung.
In der Arbeitslosigkeit (seit 1997) war mir als Einzelgänger der Zugang zu und die Mitarbeit an interdisziplinären Forschungsprojekten in der BRD versperrt. Dazu fehlte mir die institutionelle Basis wie sie eine Integration in eine Universität mit sich bringt und über die ich nahezu zwanzig Jahre verfügt hatte. Eine vertragsgebundene Mitarbeit an einem Forschungsprojekt „Künste und Massenkultur der ehemaligen sozialistischen Länder“ der Ritsumeikan-Universität in Kyoto/Japan (1997-1999) gab mir noch einmal zeitweilig einen Aufschwung in der wissenschaftlichen Arbeit.
Im Jahre 2002 erhielt ich vom Online-Journal Kulturation.de (Leitung: Prof. Dr. Dietrich Mühlberg), dessen Herausgeber der Verein Kulturinitiative ‘89 ist, das Angebot, im Ressort FILM mitzuarbeiten, das ich gerne annahm. Die hier aufgenommenen Artikel aus den Jahren 2003 bis 2004 sind aus dem Online-Journal.
Lutz Haucke
Anmerkungen:
1 Vgl. Günter Reisch: Erinnerungen im 30. Jahr der DDR (Teil I). Ein Werkstattgespräch-Diskussionspartner Lutz Haucke. In: Filmwissenschaftliche Beiträge, 20. Jg., 1/79, S. 5-34; Teil II. In: Filmwissenschaftliche Beiträge, 20. Jg.,2/79, S. 84-110; Werkstattgespräch mit Winfried Junge vom 18.10.1982, Tonbandaufzeichnung; Werkstattgespräch mit Jürgen Böttcher vom 15.11. 1982, Tonbandaufzeichnung; Werkstattgespräch mit Rainer Simon vom 26.4. 1983, Tonbandaufzeichnung; Werkstattgespräch mit Peter Voigt vom 12.6. 1986, Tonbandaufzeichnung
2 Kolloquium Filmkunst und Neue Medien. In: Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft. Schriftenreihe der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR „Konrad Wolf“, Nr. 35, 1989, 30. Jahrgang, S. 93-218
3 Vgl. Wieland Becker, Volker Petzold: Tarkowski trifft King Kong. Geschichte der Filmklubbewegung der DDR. Vistas: Berlin 2001; vgl. auch meine Rezension: Zwischen Basisdemokratie und Zentralismus: Filmklubs in der DDR. In: Kulturation.de 2/2003
4 Dorothea Becker: Zwischen Ideologie und Autonomie. Die DDR-Forschung über die deutsche Filmgeschichte. Münster: LIT, 1999, S. 211-212
5 Lutz Haucke: Europäische Regiegenerationen im Aufbruch – Neue Wellen in Europa seit den 60ern. Ästhetische Innovation und soziokultureller Wandel – Wechsel der Regiegenerationen in modernen Gesellschaften West-, Ost-, Nord- und Südeuropas. In: Film- und Fernsehwissenschaft. Mitteilungen der Gesellschaft für Film- und Fernsehwissenschaft, Marburg, Nr. 1/‘96, S. 25-27